Heutzutage sind viele Bereiche des täglichen Lebens – ob beruflich oder privat – an IT-Systeme gebunden. Die weiter zunehmende Digitalisierung ist ein maßgeblicher Innovationstreiber für die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen. Insbesondere die Bereiche Internet der Dinge (IoT), Industrie 4.0, Autonomes Fahren und Smart City sind gute Beispiele dafür. Andererseits wird die Gesellschaft mit der Digitalisierung auch immer abhängiger von der Verfügbarkeit und der Zuverlässigkeit solcher Systeme und der erforderlichen Infrastrukturen. Darüber hinaus wird von diesen Systemen erwartet, Aufgaben unter dynamischen Bedingungen zu erfüllen, ohne dass diese Bedingungen zum Zeitpunkt der Systementwicklung bereits vollständig bekannt waren.
Damit ergibt sich auch die Herausforderung, dass die Softwaresysteme sowohl für die Entwicklung der IT-Systeme und -Dienstleistungen als auch für ihren zuverlässigen Betrieb zunehmend komplexer werden. Ein Lösungsansatz besteht darin, Funktionen und Dienste aufzuteilen und zu dezentralisieren, wobei sich die Teilkomponenten selbstständig vernetzen sollen. Die entstehenden Systeme sind durch Nebenläufigkeit gekennzeichnet, d. h. eine weitgehend unabhängige, parallele und verteilte Bearbeitung von Teilaufgaben.
Um die beschriebenen Herausforderungen zu meistern, muss die Entwicklung resilienter Systeme vorangetrieben werden. Darunter sind solche Systeme zu verstehen, die durch adäquaten Umgang mit Störungen, Unsicherheiten und auch widrigen Bedingungen – wie z. B. eingeschränkten Ressourcen (CPS, IoT) oder Fehlbedienung – einen Betrieb aufrechterhalten können („Fail Operational“). Hierzu sind innovative Architekturen und Designprinzipien sowie Betriebs- bzw. Laufzeitumgebungen erforderlich, die im Sinne der Selbstorganisation u.a. auf Prinzipien aus dem Organic Computing und der Bionik zurückgreifen. Neuartige Methoden und Werkzeuge zur Softwareentwicklung bzw. für das Systems Engineering sollen dabei eine Modellierung von dynamischen und autonomen Systemen mit definiertem Laufzeitverhalten ermöglichen.
Die Lösung der genannten Problembereiche ist von großer strategischer Bedeutung für die deutsche Wirtschaft insbesondere in der Automobilbranche, der Produktionstechnik, Energiewirtschaft, Logistikbranche, der Finanzwirtschaft sowie in der Medizin.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat diese Entwicklung erkannt und möchte mit mehreren Förderinitiativen die Entwicklung von neuen Methoden und Werkzeugen für offene, emergente und dynamisch veränderliche IT-Systeme unterstützen.
Zusammen mit Experten aus der Wissenschaft hat das BMBF in einem ersten Schritt relevante Forschungsfelder mit konkreten Herausforderungen identifiziert. Eine erste Ausrichtung der Förderinitiativen konzentriert sich auf folgende Schwerpunkte:
- Resilienz und Ausfallsicherheit u. a. mit den Themen: Fehlertoleranz; Robustheit; Umgang mit Störungen und Unsicherheiten zur Laufzeit; Ableiten von entsprechenden Design-Prinzipien; Modellierung von Resilienz, inhärenten Unsicherheiten, möglicher Fehlfunktionen sowie intendiertem Verhalten; Verfahren zur Prüfung der Compliance bzw. Erkennung von Abweichungen zur Laufzeit als neue Ansätze zur Verifikation und Validierung
- Konstruktionsprinzipien und Laufzeitmethodik u. a. mit den Themenbereichen Selbstorganisation von dezentralen, autonomen Komponenten einschließlich neuer Methoden zur Verifikation/Validierung; Co-Design von Hardware und Laufzeitumgebungen für dezentrale, autonome Komponenten; Modellierung nichtfunktionaler Anforderungen und Eigenschaften; Zertifizierung von sogenannten Self-X-Systemen und deren Verifikation zur Laufzeit.
Ziel des BMBF ist die verstärkte Anwendung bionischer Prinzipen und des Organic Computings in der Systementwicklung. Dabei sollen die neuen Betrachtungsweisen zu Nebenläufigen (parallelen) Systemen nachhaltig und praktisch verankert werden. Durch den Einsatz bionischer Prinzipien wird die Anwendung innovativer Modellierungsansätze und weiterer Methoden der Selbstorganisation möglich. Die neuen Betrachtungsweisen zur Nebenläufigkeit erweitern die klassische Systemmodellierung um Aspekte des intendierten Verhaltens und des Selbstschutzes.